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Vergebung.Wiedergutmachung.Versöhnung

15-05-28 OTG im Seehaus

Irmela Abrell (Mitte) moderierte die Gruppenrunden

Vergebung und Wiedergutmachung ermöglichen Versöhnung. Dies ist die zentrale Botschaft, die von der Abschlussveranstaltung des jüngsten Kurses „Opfer und Täter im Gespräch“ im Seehaus Leonberg ausging. Dort hatten sich ans sechs Abenden Opfer und Täter zu moderierten Gruppengesprächen getroffen.

Zunächst deutete nichts darauf hin, dass dieser Tag das Leben von Sabrina H.* auf den Kopf stellen würde. Doch plötzlich stand Marco G* (Namen geändert). mit gezogener Pistole vor ihr an der Kasse. Der Räuber schnappte sich das Geld und türmte. Die Frau blieb völlig verängstigt zurück. Der Überfall dauerte nur wenige Sekunden, die darauffolgende Leidenszeit für Sabrina H. dagegen Tage, Wochen, Monate. An ihrer Wut und Ohnmacht änderte sich zunächst auch nichts, nachdem Marco G. festgenommen worden war.
Was bewegt einen Menschen wie Marco G., eine Straftat zu begehen? Was fühlen Opfer wie Sabrina H.? Wie kann man die Folgen einer Straftat verarbeiten? Sind Vergebung und Wiedergutmachung möglich? Mit diesen Fragen beschäftigte sich der Kurs „Opfer und Täter im Gespräch (OTG)“, der jetzt im Seehaus Leonberg mit einer Abschlussfeier zu Ende ging. Vier Jugendliche des Seehauses und drei Opfer von Straftaten, darunter Sabrina H., hatten sich an sechs Abenden zum Austausch getroffen. OTG-Leiterin Irmela Abrell und Ingrid Steck von der Seehaus-Opferhilfe moderierten die Gesprächsrunde.
„Die erste Begegnung war besonders spannend“, schildert Irmela Abrell. Die Opfer hätten sich im Vorfeld natürlich gefragt, mit welchen „Typen“ sie sich da in einen Kreis setzen, um über das zu reden, was sie bewegt. Die Jugendlichen machten sich ihrerseits Gedanken darüber, wie Opfer ihnen wohl als Straftätern gegenübertreten – offen, reserviert oder ablehnend. Doch die Befürchtungen zerstreuten sich schnell, es entwickelte sich eine positive Atmosphäre.
Beim OTG besteht zwischen den Beteiligten kein unmittelbarer Bezug hinsichtlich der Tat, wie Irmela Abrell erläuterte. Jedes Treffen stand unter einem speziellen Thema. Zunächst ging es darum, wie man einen Täter und ein Opfer definiert. Dabei setzten sich die Teilnehmer mit der biblischen Geschichte des Zöllners Zachäus auseinander und überlegten, was er war: Opfer, Täter oder beides zugleich? Weitere Themen waren Schuldbekenntnis und Reue, Vergebung sowie Wiedergutmachung und Versöhnung.
Für die Opfer hatte die Frage nach Vergebung zentrale Bedeutung. Dabei arbeitete die Gruppe heraus, dass es dafür nicht unbedingt zu einer Begegnung mit dem Täter kommen muss. „Wer es schafft zu vergeben, kann frei werden von seiner Angst und der Wut und dem Hass auf den Täter. Am Ende findet man Frieden und bekommt neue Lebensqualität“, so Irmela Abrell. Eine Einschätzung, die Sabrina H. aus eigener Erfahrung bestätigen kann.
Für die Jugendlichen war es gut zu hören, wie sie Wiedergutmachung leisten können, damit es am Ende zur angestrebten Versöhnung zwischen Opfern und Tätern kommt. Man diskutierte über verschiedene Möglichkeiten, sich zu entschuldigen oder konkrete Angebote zu machen, den angerichteten Schaden zu begleichen.
„Neben der Diskussion über die Themenschwerpunkte waren die Lebensberichte der Teilnehmer von großem Nutzen. Sie haben einerseits zum Nachdenken und Nachempfinden angeregt und andererseits ermöglicht, sich den Ärger von der Seele zu reden“, sagte die OTG-Leiterin.
Zur Abschlussfeier des OTG waren einige Gäste ins Seehaus gekommen, unter anderem Vertreter der Polizei. Seehaus-Leiter Tobias Merckle stellte das Konzept „Restorative Justice“ vor, in dem das OTG ein Baustein ist. „Bei Restorative Justice ist die Wiedergutmachung das bestimmende Prinzip. Die Belange der Opfer stehen im Mittelpunkt. Ziel ist es eine Lösung zu finden, die allen Beteiligten und Betroffenen einer Straftat gerecht wird – dem Opfer, der Gesellschaft und dem Täter.“
Jeder Teilnehmer des OTG im Seehaus erhielt eine Urkunde. Am Ende des offiziellen Teils der Abschlussfeier bestand bei einem Imbiss die Möglichkeit zum Austausch und Beisammensein. (aje)