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EU: Kleine Hafthäuser statt großer Vollzugsanstalten – Rescaled

EU zu neuen Haftformen: kleine Hafthäuser statt großer Vollzugsanstalten

RESCALED und SEEHAUS begrüßen bahnbrechende Schlussfolgerungen des EU-Rates unter belgischer Präsidentschaft (EU2024BE)Rescaled

Die Justizminister der 27 EU-Länder haben sich heute einstimmig für die Nutzung von kleineren Hafthäusern ausgesprochen. Sie haben die Schlussfolgerungen des Rates über die „Inhaftierung in kleinem Maßstab“ angenommen und damit alle Mitgliedstaaten aufgefordert, die Nutzung kleinerer Vollzugseinrichtungen einschließlich kleiner Hafthäuser für Haftzwecke in Erwägung zu ziehen, um die negativen Auswirkungen der Inhaftierung zu begrenzen und eine bessere Betreuung der inhaftierten Personen bei der Rückkehr in die Gesellschaft zu gewährleisten.

Die Organisation RESCALED, eine führende Bewegung zur Einführung von verkleinerten Haftanstalten in Europa, begrüßt die Annahme dieser Schlussfolgerungen des Rates. Sie stellen einen wichtigen Schritt in Richtung eines nachhaltigeren Justizsystems und einer grüneren, gerechteren und integrativeren Zukunft dar. Damit sind sie ein starkes und hoffnungsvolles Zeichen in Zeiten, in denen viele europäische Gefängnissysteme mit Überbelegung, Personalmangel oder hohen Rückfallquoten zu kämpfen haben.

 Paul Van Tigchelt„Die soziale Rehabilitierung und Wiedereingliederung von inhaftierten Personen ist ein zentrales Ziel unseres Justizsystems. Kleine Hafteinrichtungen können in dieser Hinsicht eine Rolle spielen, da sie dazu beitragen, die negativen Auswirkungen der Haft und das Risiko einer erneuten Straftat zu minimieren.“

Paul Van Tigchelt, belgischer Vizepremierminister und Minister der Justiz

RESCALED wird in Deutschland durch den Seehaus e.V. repräsentiert. Seehaus betreibt selbst zwei kleine Hafteinrichtungen als „Strafvollzug in freien Formen“, seit 2003 im Seehaus Leonberg und seit 2011 im Seehaus Leipzig. Außerdem ist Seehaus e.V. mit Opfer- und Traumaberatungsstellen und in der Präventionsarbeit aktiv.

Die wichtigsten Punkte aus den Schlussfolgerungen des Rates:

  • Soziale Rehabilitation und Wiedereingliederung in die Gesellschaft: Eine Inhaftierung in kleinem Maßstab kann die soziale Rehabilitation und die Wiedereingliederung von inhaftierten Personen in die Gesellschaft besser fördern, damit Rückfällen vorbeugen und integrativere Gemeinschaften aufbauen.
  • Kleinräumig, differenziert und in die Gemeinschaft integriert: Die Mitgliedstaaten werden ersucht, die potenziellen Vorteile kleinerer, differenzierter und in die Gemeinschaft integrierter Hafteinrichtungen zu untersuchen, die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren und gegebenenfalls den Einsatz dieser Einrichtungen zu erwägen.
  • Auf dem Weg zu einer sicheren und integrativen Gesellschaft: Der Rat ist der Ansicht, dass die Inhaftierung in kleinem Maßstab zu einem besseren Gemeinschaftsgefühl und einer besseren sozialen Integration beiträgt, was die Rückfälligkeit verringern kann. Daher können kleine, differenzierte und in die Gemeinschaft integrierte Hafteinrichtungen dazu beitragen, dass die Gemeinschaften sicherer und widerstandsfähiger werden.

Helene de Vos„Wir freuen uns über den politischen Willen, die Vorteile kleinerer, differenzierter und in die Gemeinschaft integrierter Haftanstalten für die europäischen Gesellschaften zu erkunden. Es ist hoffnungsvoll zu sehen, dass sich der Zusammenhang zwischen einer wirksamen Justizpolitik und einer gut entwickelten Sozialpolitik in den Schlussfolgerungen des Rates zur kleinen Haftanstalt widerspiegelt. Dieser Meilenstein ist Teil einer breiteren europäischen Bewegung hin zu einem Justizsystem, das den Bedürfnissen einer integrativen, sicheren und nachhaltigen Gesellschaft wirklich gerecht wird.“

Helene De Vos, Executive Director von RESCALED

Die RESCALED-Bewegung wird ihre Arbeit fortsetzen:

  • Erfassung und Kartierung bewährter Praktiken von kleinen, differenzierten und gemeindeintegrierten Hafteinrichtungen, die bereits in ganz Europa existieren, siehe hier.
  • Erweiterung des Know-hows über Haftanstalten in Zusammenarbeit mit Forschern und Praktikern
  • Unterstützung der nationalen Justizministerien, Gefängnisverwaltungen und lokalen Regierungen bei der Einrichtung von Haftanstalten anstelle von Großgefängnissen
  • Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften, um die Unterstützung für Haftanstalten aufrechtzuerhalten, indem das Bewusstsein für die Vorteile von kleinen, differenzierten und in die Gemeinschaft integrierten Haftanstalten geschärft wird

Den vollständigen Text der Schlussfolgerungen des Rates „Haft in kleinem Maßstab: Schwerpunkt auf sozialer Rehabilitation und Wiedereingliederung in die Gesellschaft“ finden Sie hier.

Über RESCALED:

RESCALED, das „European Movement for Detention Houses“, ist eine wachsende Bewegung mit Mitgliedern in siebzehn Ländern: Österreich, Belgien, Kroatien, Tschechische Republik, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Irland, Kosovo, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien und Spanien. Einige Mitglieder leiten kleine Haftanstalten, andere engagieren sich in der Interessenvertretung, in Dienstleistungen für (ehemals) inhaftierte Personen und in der Forschung.

Die Vision von RESCALED ist, dass die Gesellschaften eines Tages integrativ, sicher und nachhaltig sind. Zu diesem Zweck unterstützt sie den Einsatz kleiner Haftanstalten anstelle von Großgefängnissen. Kleine Hafthäuser sind kleinräumig, differenziert und in die Gemeinschaft integriert. Sie kommen nicht nur den inhaftierten Personen zugute, sondern auch deren sozialem Netzwerk, potenziellen Opfern, dem Strafrechtssystem, seinen Mitarbeitern und der Gesellschaft insgesamt. Kleine Hafteinrichtungen ermöglichen eine bessere Anwendung der europäischen Rechtsvorschriften und Grundsätze und tragen zur Wiedereingliederung, zur Verringerung der Rückfälligkeit und zur sozialen Nachhaltigkeit bei.

Fotos zu kleinen Hafthäusern: Seehaus Leonberg und Seehaus Leipzig – Jugendstrafvollzug in freien Formen. 

Über Seehaus e.V.:
Seehaus e.V. ist in den Bereichen Opferhilfe, Straffälligenhjilfe und Prävention tätig.
Im Seehaus Leonberg und im Seehaus Leipzig betreibt Seehaus e.V. Strafvollzug in freier Form als Alternative zum geschlossenen und offenen Strafvollzug. Dabei leben jeweils bis zu 7 junge Männer mit Hauseltern zusammen und erleben so oft zum ersten Mal Familienleben. Gleichzeitig sind sie in ein strukturiertes Erziehungsprogramm von 5.45 Uhr angefangen mit Frühsport bis 22.00 Uhr eingebunden.

Seehaus e.V. betreibt Opfer- und Traumaberatungsstellen, ambulante Maßnahmen für straffällige Jugendliche, Opferempathietraining und Wohngruppenvollzug in verschiedenen Justizvollzugsanstalten und Präventionsarbeit.

Seehaus e. V. folgt in seinen unterschiedlichen Arbeitsbereichen den Prinzipien von Restorative Justice. Dabei handelt es sich um einen Ansatz für Konflikttransformation, der die Bedürfnisse der Geschädigten und Wiedergutmachung in den Mittelpunkt stellt und die Verantwortungsübernahme der Täter betont. Dies kann am besten erreicht werden, wenn die betroffenen Parteien (Geschädigte, Täter und Vertreter der Gesellschaft) zusammenkommen, um ihre Bedürfnisse und Verantwortlichkeiten zu benennen und anzugehen. Sie bemühen sich um eine Lösung, die Heilung, Verantwortungsübernahme und Wiedereingliederung bringt und künftigen Schaden verhindert.

Für weitere Informationen:

Helene De Vos                                                                             Ulrich Weinhold
Geschäftsführende Direktorin                                                          Syndikus-Rechtsanwalt
RESCALED                                                                                           SEEHAUS e. V.
info@rescaled.org                                                                                uweinhold@seehaus-ev.de

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