Seehaus Leonberg – Jugendstrafvollzug in freien Formen

SeehausLeonberg, Jugendstrafvollug in freien FormenSeit 1953 bot § 91 Abs. 3 JGG (Jugendstrafvollzug in freien Formen) einen Weg für einen innovativen Jugendstrafvollzug zwischen geschlossenem und offenem Jugendstrafvollzug. Diesen Weg ist erstmals das Justizministerium Baden-Württemberg unter dem damaligen Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll gegangen. Im Jahr 2003 hat sowohl das Projekt Chance in Creglingen als auch das Seehaus Leonberg seine Arbeit aufgenommen. Seitdem geben sie straffälligen Jugendlichen die Chance, sich außerhalb von Gefängnismauern und der damit verbundenen negativen Beeinflussung durch andere Gefangene auf ein Leben ohne Straftaten vorzubereiten.

Im Seehaus Leonberg wohnen jeweils 5-7 Jugendliche in drei Wohngemeinschaften mit Hauseltern und deren Kindern zusammen.

In der einjährigen Berufsfachschule können die Jugendlichen derzeit das erste Lehrjahr für Bauberufe, in Metalltechnik oder Holz (Schreiner) absolvieren oder sich im Bereich Garte- und Landschaftsbau auf eine Ausbildung  vorbereiten.

Die praktische Ausbildung findet anhand von Kundenaufträgen in unseren Seehaus-Werkstätten statt:

Kurzbeschreibung:

Das Seehaus Leonberg versteht sich als Lebensschule und gibt jungen Gefangenen die Chance, eine umfassende Lebensveränderung vorzunehmen. Sie können innerhalb einer Positiven Gruppenkultur und durch familienähnliches Zusammenleben positives Sozialverhalten eintrainieren und erlernen.

Straftaten, Gewalt-, Sucht- und andere Problematiken werden im Seehaus aufgearbeitet.

Die jungen Gefangenen können in einem internen Stufensystem aufsteigen und dann auch mehr und mehr Lockerungen erhalten. Eine Integration in Sportvereine etc. wird angestrebt. Es bestehen sehr gute Vermittlungschancen ins Handwerk und in die Industrie (bisher alle außer einem der nicht arbeiten wollte vermittelt). Nach ihrer Entlassung können die jungen Männer verschiedene Nachsorgeangebote in Anspruch nehmen.

Gleichzeitig werden sie im schulischen Bereich, in der beruflichen Bildung und im Freizeitbereich gefördert (siehe Angebote).

Im schulischen Bereich liegt der Schwerpunkt auf der beruflichen Bildung. In der Seehaus-Schule (einjährige Berufsfachschule) können die jungen Gefangenen eine Ausbildung in den Bereichen Bau, Holz, Metall beginnen. Mit der einjährigen Berufsfachschule kann ein dem erweitertem Hauptschulabschluss gleichwertiger Bildungsstand erreicht werden. Schreiner und Zimmerer können wir auch im 2. und 3. Lehrjahr ausbilden. Wer schon eine Ausbildung hat, kann individuell gefördert werden (z.B. Ausbildereignungsprüfung,…).

Zielgruppe:

Junge Männer zwischen 14-23:
-Jugendstrafgefangene (§ 7 Abs. 1 JVollzGB-BW 4)
-Strafgefangene bis 24 (§ 114 JGG)
-Untersuchungshaft-Vermeidung (§§ 71 Abs. 2, 72 Abs. 4 JGG) – für junge Männer, bei denen wahrscheinlich ist, dass eine Haftstrafe ohne Bewährung oder eine Auflage/Weisung für eine Unterbringung im Heim (im Seehaus Leonberg) in Aussicht ist.
-Unterbringung im Heim als richterliche Auflage oder Weisung (§§ 21-26a, 27-30. 88 JGG)

Verlegungen aus Justizvollzugsanstalten sind nach § 114 JGG möglich. Dabei ist Prüfungsmaßstab, ob der Gefangene für die Unterbringung im Strafvollzug in freien Formen und das spezifische Angebot dort geeignet ist (eine Eignung für den Jugendstrafvollzug per se muss nicht überprüft werden). Die Gefangenen werden direkt in den Jugendstrafvollzug in freien Formen verlegt (VwV vom 08.03.10, Vierter Teil, 1.2.5 und Schreiben des Justizministeriums Baden-Württemberg an die Leiter der Justizvollzugsanstalten Adelsheim, Heimsheim, Ravensburg und Schwäbisch Hall v. 06.06.08).

Aus Justizvollzugsanstalten kommen sowohl Jugendstrafgefangene in Betracht, die aus dem Jugendstrafvollzug herausgenommen wurden, als auch Gefangene, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden.

Eignung (VwV vom 08.03.10):

„Wenn der junge Gefangene seine Mitwirkungspflicht erfüllt und nicht zu befürchten ist, er werde sich dem Vollzug der Jugendstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des Jugendstrafvollzuges in freier Form zu Straftaten missbrauchen.

Junge Gefangene, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe vom mehr als drei Jahren wegen grober Gewalttätigkeiten gegen Personen (…) oder wegen Handelstreibens mit Betäubungsmitteln vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, können geeignet sein, bedürfen jedoch der vorherigen Zustimmung des Justizministeriums“.

Schwerpunktmäßig ist das Programm auf junge Gefangene mit längeren Haftstrafen und Gewaltdelikten ausgerichtet. Auch junge Gefangene mit Strafen von über 3 Jahren können für das Seehaus sehr gut geeignet sein, bedürfen aber der Zustimmung des Ministeriums.

Negativkriterien:

Von der Teilnahme im Seehaus Leonberg sind Gefangene ausgeschlossen,

  • bei denen die Ausweisung vollziehbar verfügt ist und die aus der Haft abgeschoben werden sollen
  • die Jugend- oder Freiheitsstrafen aufgrund von Verurteilung(en) wegen Sexualstraftat(en) verbüßen, soweit diese Straftat(en) nicht dem minderschweren Bereich zuzuordnen sind.

Positivkriterien:

Um das Konzept vom Seehaus Leonberg sinnvoll durchführen zu können sind folgende Positivkriterien wünschenswert:

  • Aufenthaltsdauer mindestens 1 Jahr (nach oben offen, eine Vollausbildung, also 3 Jahre, ist möglich). Bei Unterbelegung werden auch junge Gefangene mit mindestens 8 Monaten bis zur voraussichtlichen Entlassung aufgenommen.
  • schwerpunktmäßig 16-23 Jährige, möglich jedoch ab 14 Jahren
  • ausreichend Deutschkenntnisse
  • Subkultur-/Vollzugserfahrung ist kein Negativkriterium, da das Konzept auf einer Positiven Gruppenkultur basiert und die Strukturen der negativen Subkultur nutzt. Daher sind junge Gefangene mit „Führungsqualitäten“ unheimlich wichtig, auch wenn sie diese bisher negativ eingesetzt haben.
  • Schwerpunktmäßig junge Gefangene mit Körperverletzungs-/Gewaltdelikte

Zentrale Programmpunkte:

Bereich Thema Inhalt/Kurzbeschreibung Dauer/
Häufigkeit
Sozial-pädagogik Einzelgespräch Beratung/Reflexion/Feedback (Straftatauseinandersetzung,  Schuldenregulierung, Suchtprävention, Risiko-und Schutzfaktoren, Rückfallvermeidungsplan, Zielüberprüfung,  Kompetenzcheck, Persönlichkeitsentwicklung,  Self-Risk-Management, Konfliktlösungsstrategien,  Integrationsplanung, Ausbildungsplatzvermittlung, … 1x/Wo.
45min.
Suchtprävention (wahlweise) Interne und  externe  suchtspezifische Selbsthilfegruppe: Suchtlebenslinie, Motivation/Wirkungen/ Konsequenzen von legalen und illegalen Drogen Entwicklung von Handlungsalternativen, Umgang mit Rückfall 14 täg.,
1,5 Std.
Seehausrunde Reflexion Selbstreflexion und Auseinandersetzung über innere und äußere Konflikte, Ziele, Stärken und Emotionen, Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdwahrnehmung durch Feedback in der Gruppe 1x/Wo.
 1,5 Std.
Seehausrunde Herausforderung Gegenseitige Unterstützung und Übernahme von Verantwortung in der Gruppe und für sich selbst 1x/Wo. 1,5 Std.
Auseinandersetzung und Reflexion über Herausforderungen im Alltag (z.B. Umgang mir Konflikten, Umgang mit Aggression, etc.)
Seehausrunde Thematische Auseinandersetzung in der Gruppe u.a. Kriminalität, Gewalt, Sucht, Deliktspirale, Opfer (Intensivwochenende), Risiko-Schutzfaktoren, Rückfall, Sexualität, Werte/Normen 1x/WO
Thema 1,5-2 Std.
Seehausrunde Konstruktive und konfrontative Reflexion kriminogener Eigenschaften und Verhaltensweisen in der Gruppe, Befähigung zum Self-Risk-Management, Auseinander-setzung mit der Straftat, den deliktrelevanten Persönlichkeitsanteilen und den Folgen, Neutralisierungstechniken 2x/Mt.
WahrHaftLeben 5Std.
Seehausrunden Wanderung im Herbst mit 2 Übernachtungen in einer Hütte: Thema „Opferempathie“ 1xJahr
Wochenende 2,5 Tage
Opfer und Täter im Gespräch Opfer und Täter im Gespräch: Austausch und Diskussion im Gruppenkontext (i.d.R. drei Täter drei Opfer, Opfer und Täter beziehen sich in ihrer Straftat nicht aufeinander) über Auswirkungen der 2x/Jahr
OTG (freiwillig) Straftaten für die Betroffenen , die eigene Lebensgeschichte und Wege zur Wiedergutmachung 6x 2,5 Std.
TOA (freiwillig) Direkter Täter-Opfer-Ausgleich
Therapie Individuelle Aufarbeitung von Traumata, Persönlichkeitsstörung, Vergangenheitsbewältigung 1x/Woche
(freiwillig) 1 Std.
  Zusätzliche Einzelgespräche Informelle Einzelgespräche mit Hauseltern regelmäßig
Sport Frühsport 3-4 km Joggen morgens 2X/Wo.
40min.
  Schul- und Freizeitsport Fußball, Handball, Basketball, Volleyball, Baseball, Rugby, Leichtathletik, etc., Teilnahme an Wettkämpfen,  Integration in lokale Vereine 2X/Wo.
2,5 h
Ausbildung/ Seehaus Berufsfachschule Möglichkeit unterschiedliche Berufe in 3 Bereichen  zu erlernen: Mo-Fr
Schule Bau  Bau: Maurer, Beton- und Stahlbetonbauer, Feuerungs- und Schornsteinbauer, Zimmerer, Stuckateur, Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Estrichleger, Wärme-, Kälte- und Schallschutzisolierer, Trockenbaumonteur, Straßenbauer, Rohrleitungsbauer, Kanalbauer, Brunnenbauer, Spezialtiefbauer, Gleisbauer 8,0 Std.
Holz Holz: Schreiner
Metall Metall: Konstruktionsmechaniker, Anlagenmechaniker, Zerspanungsmechaniker, Werkzeugmechaniker, Industriemechaniker, Metallbauer
Erweiterter Hauptschulabschluss (erweiterter) Hauptschulabschluss gleichwertiger Bildungsstand
Nach Abschluss des 1.  Lehrjahrs ist die Ausbildung zum Schreiner oder Zimmerer in den Seehaus-Werkstätten mit dem Besuch einer externen Berufsschule  im 2. und 3. Lehrjahr  möglich (stufenabhängig),
Arbeit an internen und externen Baustellen
  Berufsfachschule- Vorbereitung BFS-Vorbereitungskurs  für Berufsfachschule zur Unterstützung bei schulischen Defiziten 1-2x/Wo.
  Besondere Förderung Individuelle Angebote wie arbeitspädagogisches Training, Ausbildereignungsprüfung, Besuch der externen Realschule (stufenabhängig im 2. Jahr)  u.a.
  Ferienprogramm Rote Kreuz Kurs, Computerkurs, Motorsägekurs, Theaterworkshop, Holzskulpturen, Umgang mit Finanzen,  u.a.  Do & Fr.  (Ferien)
Freizeit AGs Mountainbike, Computer, Kunst, Gitarre, Klavier, KFZ, Zirkeltraining, Judo, Tierhaltung  und anderes 1x/Wo.
2,0 Std.
  Freizeiten Ostertour (3 täg. Wanderung mit Übernachtung in der Natur),  Winterfreizeit (27.12.-2.1.) am Feldberg, Je 1x/Jahr
Pfingstjugendtreffen,…
  Sonstige Freizeit-aktivitäten Wochenendausflug mit der Hauselternfamilie, 1x/Jahr
Tagesauflüge, Freizeitaktivitäten im Seehaus und der Umgebung, erlebnispädagogische Aktivtäten,… regel-mäßig
  Externe Angebote Besuch der Fahrschule, Besuch von Jugendgruppen und Vereinen, ehrenamtliche Mitarbeit
Christliche Angebote Gottesdienstbesuch Besuch und Kooperation mit evangelischer, katholischer Landeskirche  und Freikirchen in der Umgebung oder in der Gemeinde am Glemseck, Integrationsmöglichkeiten 1x/Wo.
(freiwillig)  2 Std.
Jugendkreis (freiwillig) Freizeitaktivität (Kochen, Sport, Erlebnispädagogik, Gruppenspiele…) und Auseinandersetzung mit Lebens- und Glaubensthemen mit externen Besuchern 1x/Wo.
 3 Std.
Nachsorge Jugendhilfe- und Sozialhilfemaßnahmen (freiwillig) Fachleistungsstunden, Betreutes Wohnen, Erziehungsstelle, Erziehungsbeistandschaft, Nachsorgewohngemeinschaften, Wohnen in Familien
Begleitung (freiwillig) Begleitung durch ehrenamtliche Paten und Mitarbeiter

Tagesablauf

 


ECOR_LOGO-400
Das Seehaus Leonberg – Jugendstrafvollzug in freien Formen –  war Partner des EU-Projektes European Communities of Restoration (ECOR). ECOR hat sich mit der Entwicklung von guten Lösungen hinsichtlich der Verbesserung von Haftbedingungen beschäftigt, Alternativen zum konventionellen Strafvollzug gefördert und Nachsorgeprogramme entwickelt.