Jugendstrafvollzug in freier Form im Seehaus Leonberg und Seehaus Leipzig
Der „Jugendstrafvollzug in freien Formen“ bietet eine dritte Alternative neben den klassischen Formen des offenen und geschlossenen Jugendstrafvollzuges. Seehaus e.V. betreibt die Modelleinrichtungen für straffällige Jugendliche „Seehaus Leonberg“ und „Seehaus Leipzig“. Jugendliche und Heranwachsende zwischen 14 und 23 Jahren, die bereit sind, an sich zu arbeiten, können sich vom Jugendstrafvollzug aus für das Seehaus bewerben. Nach Zustimmung des Anstaltsleiters verbringen sie ihre gesamte Haftzeit im Seehaus. Bis zu 7 Jugendliche wohnen mit Hauseltern und deren Kindern zusammen und erfahren so – oft zum ersten Mal – „funktionierendes“ Familienleben, Liebe und Geborgenheit. Gleichzeitig erwartet sie ein durchstrukturierter und harter Arbeitsalltag:
- Um 5:45 Uhr beginnt der Tagesablauf mit Frühsport.
- Bis 22:00 Uhr sind die Jugendlichen in ein konsequent durchgeplantes Erziehungsprogramm eingebunden.
- Hausputz, Schule, Arbeit, Berufsvorbereitung, Sport, gemeinnützige Arbeit, Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von Straftaten für die Opfer, Wiedergutmachung, soziales Training und die Vermittlung christlicher Werte und Normen sind fester Bestandteil des Konzepts. Sie dienen dazu, dass die Jugendlichen lernen, Verantwortung zu übernehmen und die besten Voraussetzungen haben, um sich als gesetzestreue Bürger in die Gesellschaft einbringen zu können.
Das Konzept in Stichworten:
Kriminalprävention
Wiedergutmachung
Konsequentes Erziehungs- und Trainingsprogramm
Vermittlung von Werten und Tugenden
Das Prinzip Familie
Bürgerschaftliches Engagement
Nachsorge
Rechtliche Grundlagen:
Justizvollzugsgesetzbuch Baden-Württemberg – JVollzGB-BaWü
§ 7 Formen des Jugendstrafvollzuges
(1) Bei Eignung können junge Gefangene in einer Einrichtung des Jugendstrafvollzugs in freier Form untergebracht werden. Hierzu gestattet die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter der oder dem jungen Gefangenen, die Jugendstrafe in einer dazu zugelassenen Einrichtung der Jugendhilfe zu verbüßen. Die Eignung ist stets zu prüfen.
(2) Junge Gefangene sollen in einer Jugendstrafanstalt oder Teil einer Jugendstrafanstalt ohne oder mit verminderten Vorkehrungen gegen Entweichung untergebracht werden, wenn sie ihre Mitwirkungspflicht erfüllen und nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug der Jugendstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werden.
(3) Für den Jugendstrafvollzug in freier Form oder den offenen Vollzug nicht geeignete junge Gefangene werden in einer geschlossenen Jugendstrafanstalt oder einer Abteilung mit Vorkehrungen gegen Entweichung untergebracht.
Sächsisches Jugendstrafvollzugsgesetz – SächsJStVollzG
§ 13 Geschlossener und offener Vollzug, Vollzug in freien Formen
(1) Die Gefangenen werden im geschlossenen oder offenen Vollzug untergebracht.
(2) Ein Gefangener soll im offenen Vollzug untergebracht werden, wenn er dessen besonderen Anforderungen genügt, insbesondere verantwortet werden kann zu erproben, dass er sich dem Vollzug nicht entziehen und die Möglichkeiten des offenen Vollzugs nicht zur Begehung von Straftaten missbrauchen wird.
(3) Der Vollzug kann nach Anhörung des Vollstreckungsleiters in geeigneten Fällen mit Zustimmung des Gefangenen in freien Formen durchgeführt werden. Absatz 2 gilt entsprechend.
Sächsisches Strafvollzugsgesetz
§ 15 Geschlossener und offener Vollzug sowie Vollzug in freien Formen
(1) Die Gefangenen werden im geschlossenen oder offenen Vollzug oder im Vollzug in freien Formen untergebracht.
(2) Die Gefangenen sollen im offenen Vollzug untergebracht werden, wenn sie dessen besonderen Anforderungen genügen, insbesondere nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werden. Gefangene genügen den besonderen Anforderungen in der Regel dann, wenn
- sie sich selbst rechtzeitig zum Strafantritt gestellt haben,
- gegen sie eine oder mehrere Freiheitsstrafen von insgesamt nicht mehr als 24 Monaten oder Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt werden,
- die zu verbüßende Freiheitsstrafe nicht wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder aufgrund von grober Gewalttätigkeit vollzogen wird und
- sie sich in einem geeigneten Ausbildungs- oder festen Arbeitsverhältnis befinden und deren Arbeitgeber zu einer Weiterbeschäftigung während der Inhaftierung bereit ist.
(3) Genügen die Gefangenen den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs nicht mehr, werden sie im geschlossenen Vollzug untergebracht. § 94 bleibt unberührt.
(4) Abteilungen des offenen Vollzugs sehen keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen vor.
(5) Der Vollzug kann mit Zustimmung der oder des Gefangenen in freien Formen durchgeführt werden. Absatz 2 Satz 1 und 3 gilt entsprechend.
Zielgruppe
Jugendliche und Heranwachsende von 14 bis 23 Jahren, die zu einer Jugendstrafe oder Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, können in das Seehaus Leonberg aufgenommen werden. Zur Eignung sagt die VwV: „Der junge Gefangene kann in einer Einrichtung des Jugendstrafvollzuges in freier Form untergebracht werden, wenn er seine Mitwirkungspflicht erfüllt und nicht zu befürchten ist, er werde sich dem Vollzug der Jugendstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des Jugendstrafvollzuges in freier Form zu Straftaten missbrauchen.“ Der Aufenthalt im Seehaus Leonberg sollte grundsätzlich mindestens ein Jahr betragen (in der Regel 1-2 Jahre). Vom Aufenthalt ausgeschlossen sind Strafgefangene,
- bei denen die Ausweisung vollziehbar verfügt ist und die aus der Haft abgeschoben werden sollen,
- die Jugendstrafe aufgrund von Verurteilung(en) wegen Sexualstraftat(en) verbüßen, soweit diese Straftat(en) nicht dem minderschweren Bereich zuzuordnen sind.
Zugangspraxis
Die Jugendlichen und jungen Männer können sich aus dem Gefängnis (JVA Adelsheim, JVA Pforzheim, JVA Ravensburg, JVA Schwäbisch Hall, JVA Offenburg) für einen Aufenthalt im Seehaus Leonberg und aus der JSA Regis-Breitingen für einen Aufenthalt im Seehaus Leipzig bewerben.
Auf Empfehlung der Zugangskonferenz der JVA/JSA entscheidet der Anstaltsleiter ob ein Jugendstrafgefangener für den Jugendstrafvollzug in freien Formen zugelassen wird. Eine Verlegung ist jedoch auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich. In Baden-Württemberg können auch Strafgefangene nach § 114 JGG im Jugendstrafvollzug in freien Formen aufgenommen werden. Dabei ist Prüfungsmaßstab, ob der Gefangene für die Unterbringung dort geeignet ist. Eine direkte Belegung durch das Gericht ist nicht möglich. Jedoch kann ein Gericht im Urteil eine Empfehlung für einen Aufenthalt im Seehaus Leonberg abgeben. Ebenso sind Empfehlungen durch die Jugendgerichtshilfe (JGH) oder die Bewährungshilfe (BWH) hilfreich und können sich positiv auf die Entscheidung auswirken. Eine Garantie kann jedoch vorab nicht gegeben werden. Die schlussendliche Entscheidung liegt beim Anstaltsleiter. Für eine Entscheidung der Anstalt sollten das Gerichtsurteil und die Berichte der JGH und BWH vorliegen. Eine vorherige Anfrage und Kontaktaufnahme durch Gerichte, JGH, BWH, Staatsanwälte nimmt Seehaus e.V. gerne an.
Falls ein Aufenthalt im Seehaus in Betracht kommt, besteht die Möglichkeit, dass die JGH mit dem Jugendlichen auch vor der Verhandlung das Seehaus vor Ort besucht und kennenlernen kann. In der Regel nehmen wir vor einer Entscheidung, ob ein Jugendlicher in das Projekt aufgenommen werden kann, mit der JGH Kontakt auf, um deren Einschätzung bezüglich des Jugendlichen einzuholen und um über eventuelle Möglichkeiten der Betreuung nach der Haft zu sprechen. JGH-Berichte und sonstige Informationen spielen bei der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle. Uns ist eine enge Kooperation mit den genannten Gruppen sehr wichtig.
Informationen zum Herunterladen
Folgende Dokumente stehen als PDF zum Download bereit. Zum Speichern verwenden sie bitte die rechte Maustaste:
Hier finden Sie eine Auflistung einschlägiger Literatur über das Seehaus und den Strafvollzug in freien Formen.
Für den Strafvollzug in freien Formen haben viele Vorbilder Pate gestanden und Elemente aus den jeweiligen Methoden/Konzepten wurden übernommen und den Verhältnissen in Deutschland und dem Gesamtkonzept gegenüber angepaßt. Zu einem der wichtigsten Vorbilder gehört das APAC Programm aus Brasilien, das 1972 von Dr. Mario Ottoboni gegründet wurde.