Restorative Justice
Zerbrochenes. Jede Straftat hat tiefgreifende Folgen. Sie beschädigt Beziehungen, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühle. Sie zerbricht vieles im Leben der Opfer. Physische und psychische Gesundheit leiden unter den Folgen der Straftat. Restorative Justice adressiert dieses „Zerbrochene“ – und bietet Lösungswege an. Restorative Justice sieht in einer Straftat eben nicht nur den Rechtsbruch, sondern vor allem die Schädigung von Personen, Beziehungen und dem Zusammenleben in der Gemeinschaft.
Heilen. Unsere Verfahren der „Strafverfolgung“ kennen „Heilung“ nur bei Verfahrensfehlern. Da werden Fristabläufe und Formfehler „geheilt“, gibt es „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“. Für die Opfer gibt es all das nicht. Menschen, die Opfer von Straftaten wurden, möchten oft ihre Selbstwirksamkeit zurückgewinnen, alten Verhaltensmustern wieder vertrauen können. Oft soll auch „innerlicher“ Schaden ganzheitlich „geheilt“ werden – das erfordert mehr als nur materielle Wiedergutmachung. Restorative Justice thematisiert dieses Bedürfnis.
Gerechtigkeit. Wie soll es gerecht ausgehen, wenn ein Opfer einer Straftat lebenslang durch sie gezeichnet ist? Einen geliebten Menschen verloren oder irreparable materielle Verluste erlitten hat? Deshalb ist die Diskussion um die korrekte Übersetzung von „Restorative Justice“ ins Deutsche als „wiederherstellende Justiz“ oder „Gerechtigkeit“ auch nicht auflösbar.
Wir im Seehaus verstehen unter Restorative Justice deshalb
der die von einer konkreten Tat Betroffenen
weitestgehend beteiligt und
ihnen ermöglicht, gemeinsam
Schäden zu benennen,
Bedürfnisse zu bearbeiten und
Verpflichtungen einzugehen,
um zu heilen und
die Dinge, so weit wie möglich,
in Ordnung zu bringen.
Restorative Justice
Restorative Justice ist ein Ansatz für Konflikttransformation, der die Bedürfnisse der Geschädigten und Wiedergutmachung in den Mittelpunkt stellt und die Verantwortungsübernahme der Täter betont. Dies kann am besten erreicht werden, wenn die betroffenen Parteien – Geschädigte, Täter und Vertreter der Gesellschaft – zusammenkommen, um ihre Bedürfnisse und Verantwortlichkeiten zu benennen und zu bearbeiten. Sie bemühen sich um eine Lösung, die Heilung, Verantwortungsübernahme und Wiedereingliederung bringt und künftigen Schaden verhindert.
Restorative Justice sieht in einer Straftat nicht nur den Rechtsbruch, sondern vor allem die Schädigung von Personen, Beziehungen und der Gemeinschaft.
Dabei geht es um Verletzungen, Bedürfnisse und Verpflichtungen. Die Perspektive der Opfer sowie die Wiedergutmachung nehmen eine zentrale Stellung ein. Im Idealfall kommen die von der Tat Betroffenen freiwillig zusammen, um gemeinsam mit einer vermittelnden Person und gegebenenfalls weiteren Mitgliedern der Gesellschaft über die Tat, deren Folgen sowie über Möglichkeiten der Verantwortungsübernahme und Wiedergutmachung zu sprechen.
Sollte dieses direkte Zusammenkommen für ein Opfer zu belastend sein oder aus anderen Gründen nicht möglich beziehungsweise nicht gewünscht, kommen auch indirekte Vermittlungsmethoden zum Einsatz. Diese unterstützen die Opfer bei der Verarbeitung, Täter können Empathie gegenüber den Opfern entwickeln und Verantwortung übernehmen.
Restorative Justice im Seehaus
Leben mit allen Brüchen und Rissen für alle Beteiligten – Opfer, Täter und Gesellschaft – geht weiter. Es muss auch irgendwie weitergehen.
Deshalb wollen wir im Seehaus e.V. gemeinsam mit vielen anderen Restorative Justice in Deutschland weiter vorantreiben.
In der Opferhilfe, in der Straffälligenhilfe und auch in unseren Präventionsprogrammen bemühen wir uns, die Perspektive von Restorative Justice einzunehmen und die Bedürfnisse des Opfers sowie Wiedergutmachung und Aussöhnung in den Mittelpunkt zu stellen.
In den Opfer- und Traumaberatungsstellen unterstützen wir Geschädigte und auch ihre Angehörige dabei, die Erlebnisse zu verarbeiten. In vertraulicher Atmosphäre wird zugehört, beraten, im Bewältigen des Erlebten begleitet.
Beim Opfer-Empathie-Training in unseren Seehaus-Einrichtungen in Leonberg bei Stuttgart oder am Hainer See bei Leipzig, aber auch in verschiedenen Justizvollzugs- und Jugendstrafanstalten setzten sich Strafgefangene aktiv mit den Ursachen und Folgen der Straftat und dem Schicksal der Geschädigten auseinander. Sie werden angeregt, Empathie zu entwickeln und darüber nachzudenken, wie sie Verantwortung für ihre Tat(en) übernehmen und Wiedergutmachung leisten können.
Im Programm Opfer und Täter im Gespräch finden Begegnungen zwischen Opfern und Tätern verschiedener Straftaten statt. In einem offenen, vorher in Einzelgesprächen gut vorbereiteten Gedankenaustausch zeigen die Opfer die Auswirkungen der Straftaten auf und berichten von ihrer Leidensgeschichte. Gleichzeitig machen sich die Beteiligten gemeinsam auf den Weg zur Bewältigung der Vergangenheit. Anhand von Themen wie „Schuldbekenntnis und Reue“, „Übernahme von Verantwortung“ oder „Wiedergutmachung“ wird in Gruppenarbeiten miteinander darüber nachgedacht und besprochen, wie die Folgen einer Straftat für Opfer und Täter aufgearbeitet werden können.
Daraus folgt dann oft der Wunsch nach einem direkten Täter-Opfer-Ausgleich, der dann aus der Haft heraus durchgeführt wird, wenn das Opfer dem zustimmt.
Täter-Opfer-Ausgleich führen wir auch im Rahmen von ambulanten Maßnahmen für straffällige Jugendliche durch.
Bei der sogenannten begleiteten gemeinnützigen Arbeit wird, während junge Menschen ihre Sozialstunden auch als symbolische Wiedergutmachung der Gesellschaft gegenüber ableisten, mit ihnen gesprochen, ihnen zugehört. Sie werden beraten und ermutigt, zukünftig ohne erneute Delinquenz zu leben. In diesen begleitenden Einzel- und Gruppengesprächen werden oft Ursachen für die Kriminalität und Alltagsschwierigkeiten aufgearbeitet und Zukunftsaussichten entwickelt.
Durch eine Kooperation mit dem Filmverleih STUDIOCANAL haben wir die Möglichkeit, den realitätsnahen Spielfilm „All Eure Gesichter“ über Restorative-Justice-Programme zwischen Opfern und Tätern im französischen Strafvollzug auch bei Ihnen zu zeigen – sprechen Sie uns an.
Zusammen mit dem Neufeld-Verlag haben wir 2025 die erweiterte Neuauflage des Klassikers „Restorative Justice“ von Howard Zehr besorgt. In diesem Buch finden sich wichtige Informationen zu den Grundlagen, Auswirkungen und Methoden von Restorative Justice, ergänzt um einen vertieften Einblick in die Arbeit des Seehaus e.V. in seine vielfältigen Arbeitsbereiche.
Interesse?
Ist Ihr Interesse an Restorative Justice geweckt? Wollen Sie über konkrete Anwendungen informiert werden oder an ihrer Einrichtung einen Workshop veranstalten? Wir beraten Schulen und Universitäten, Arbeitgeber und Behörden. Nehmen Sie gern Kontakt auf mit unserem Referenten für Restorative Justice, Syndikus-Rechtsanwalt Ulrich Weinhold auf (e-mail).
Opfer – Täter und Gesellschaft im Blick
Schaubild Restorative Justice / Seehaus-Programme aus dem Restorative-Justice Blickwinkel