Ich heiße Judith, bin 20 Jahre alt und arbeite seit neun Monaten als Haushaltspraktikantin im Seehaus. Im Mai letztes Jahr habe ich mein Abitur gemacht und wusste schon länger, dass ich nicht sofort anfangen möchte zu studieren, sondern erst ein Jahr lang etwas ganz anderes machen will.
Dabei war mir klar, dass ich nichts machen möchte, was „jeder“ macht. In einer Zeitschrift bin ich auf eine Anzeige vom Seehaus gestoßen, in der FSJler für den Haushalt gesucht wurden.
Jugendstrafvollzug, das klang nun allerdings kein bisschen gewöhnlich! In meiner Probewoche fühlte ich mich hier sofort wohl und entschied mich dafür, ein ganzes Jahr lang hierzubleiben. Auch nach neun Monaten bereue ich diesen Entschluss keineswegs. Ich habe viel gelernt, natürlich über Haushaltsführung, wie Kochen, Putzen…aber vor allem viel über mich selber, meine Persönlichkeit, meine Grenzen…
Aber zunächst mal zu meiner Arbeit:
Mein Tag beginnt um 6:35 h mit der „Zeit der Stille“, danach wird gemeinsam gefrühstückt. Während ich die Küche wieder aufräume, putzen die Jungs die WG. Um 8:00 h gehen wir zum Impuls, einem gemeinsamen Start in den Tag für alle Mitarbeiter und Jugendliche. Danach gehen die Jungs mit den Mitarbeitern zur Arbeit bzw. in die Schule. Ich begebe mich wieder zurück in die WG, wo ich für mich alleine arbeite, bis die Jungs zwischen 12:45 – 14:00 h zum Mittagessen da sind. Nachmittags beschäftige ich mich meistens mit Edith und Sophie, den 5- und 3jährigen Töchtern meiner Hauseltern, bis gegen 18:00 h gemeinsam zu Abend gegessen wird. Danach ist das Programm jeden Tag ein bisschen anders. An einem Tag machen die Jungs Hausaufgaben, lernen, schreiben Briefe und erledigen andere wichtige Sachen, Donnerstags ist Familienabend, das heißt, es wird gemeinsam
etwas gemacht, ein Brett- oder Geländespiel gespielt, etwas gemeinsam gekocht, oder worauf wir sonst Lust haben. An anderen Tagen ist Jugendkreis oder die Seehausrunde, ein pädagogischer Programmpunkt der Jungs. Abends um 22:00 h endet meist mein Arbeitstag. Meine Aufgaben sind insgesamt sehr vielfältig, Langeweile kommt nicht so schnell auf. Kochen, die
Küche in Ordnung halten, z.B. den Kühlschrank putzen oder die Schränke auswischen, die Putzdienste der Jungs benoten, auf die Kinder meiner Hauseltern aufpassen, einkaufen gehen, im Kindergarten mithelfen, die Tiere versorgen, den Jungs bei den Hausaufgaben helfen, Kuchen backen für Veranstaltungen und Vieles mehr. Dabei war vor allem am Anfang Einiges neu, ich hatte zu Hause höchst selten mal etwas sehr Einfaches gekocht und plötzlich waren da jeden Tag ca. 10 hungrige Münder, die satt werden wollten. Nicht leicht war auch, immer wieder Diskussionen über die Noten der Putzdienste zu führen oder
Frust über das Essen zu spüren bekommen (vor allem dann, wenn es kein Fleisch, sondern nur Gemüse gab). Doch mit der Zeit wurde ich in solchen Situationen selbstbewusster und nahm nicht mehr alles persönlich. Es gibt natürlich auch immer wieder Erlebnisse, an die ich besonders gern zurückdenken werde: die Winterfreizeit und die Ostertour, Wasserschlachten, Grillabende,
Fahrradausflüge, Spieleabende, an denen die Emotionen hochkochten, halsbrecherische Schlittenfahrten, lustige Streichaktionen, den Waldmeisterlauf, Fußballspiele, gute Gespräche über Gott und die Welt…
Die Zeit hier war sehr spannend, ich habe unser jüngstes Familienmitglied, die dritte Tochter meiner Hauseltern, begrüßen dürfen, habe manche Veränderungen der Jungs miterlebt, bin insgesamt reifer und selbstbewusster geworden und freue mich auf die drei Monate, die ich noch hier sein darf.