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Hoffnung für ein Dorf in Kolumbien

Neue Hoffnung für ein von Gewalt geprägtes Dorf in Kolumbien

Dörfer der Versöhnung KolumbienJuan* hat uns angefragt, ob wir das Programm „Opfer und Täter im Gespräch“ in seinem Heimatdorf in der Nähe von Turbo durchführen können. Juan wurde letztes Jahr aus dem Bellavista Gefängnis entlassen. Er hat an dem APAC-Programm von Prison Fellowship Kolumbien teilgenommen und hat dort das Programm Opfer und Täter im Gespräch kennengelernt. Er war zuvor bei den Paramilitärs und hat jetzt einigen seiner ehemaligen Kameraden begeistert von dem Programm berichtet und sie dazu angeregt, ebenso teilzunehmen um der Dorfbevölkerung, die durch verschiedene Kämpfe zwischen der FARC-Guerilla und den Paramilitärs vertrieben worden sind, ihre Schuld einzugestehen und um Entschuldigung zu fragen.

Dörfer der Versöhnung Kolumbien

Javier mit den besten Arepas

Wir sind der Einladung gefolgt und so sind wir am Freitagmorgen um 7.00 Uhr im Hotel in Turbo aufgebrochen und haben zunächst am Stand von Javier, ebenso ein ehemaliger Teilnehmer des APAC-Programms im Bellavista Gefängnis, „die besten mit Eiern gefüllten Arepas der Welt“ gegessen. Ich bin dann mit dem Motorrad vorausgefahren – auf einer holperigen Straße mit Schlaglöchern überseht. Nach 1 Stunde Fahrt sind wir dann abgebogen, einen Feldweg mit einigen kreuzenden Bächen hinauf. Das Motorrad und die Autos haben wir dann an einer Finca stehen lassen und sind ca. eine Stunde zu Fuß weiter einen matschigen Trampelpfad – hinauf zum Dorf.

Wir konnten nicht erahnen, wieviel die Bevölkerung hier durchmachen mußte und was für Lebenstragödien wir hören würden.

Zunächst haben Juan und sein Kindheitsfreund Ibrahim aus ihrem Leben berichtet.
Das Dorf wurde seit 1993 mehrfach sowohl von der FARC-Guerilla als auch von den Paramilitärs heimgesucht – um Rekruten „anzuwerben“.  1996 und 1998 wurde die Dorfbevölkerung durch den Konflikt zwischen der FARC und den Paramilitärs größtenteils vertrieben.

Als 1993 wieder eine Abordnung der FARC kam, um junge Leute „einzusammeln“ waren sowohl Juan als auch Ibrahim dabei, um sich anzuhören, was sie zu bieten haben. Ibrahim war von den Ideen der FARC begeistert und wollte der Armut und Hoffnungslosigkeit im Dorf den Rücken kehren. So hat er sich im Alter von 12 Jahren entschieden, Mitglied der FARC zu werden und ist mit ihnen mitgegangen. Juan hat die Vorstellung nicht überzeugt. Er wollte keiner bewaffneten Gruppe beitreten. Einige Wochen später kamen dann Militärlastwagen ins Dorf. Jede Familie musste einen Sohn abgeben. Die Jugendlichen mussten einsteigen. Sie wurden den von den Militärs bei den Paramilitärs abgegeben und sollten dort an der Waffe ausgebildet werden. Juan wurde ebenso mitgenommen. Er war 16 Jahre alt. Er konnte jedoch wenig später fliehen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis Weimar, der bei den Paramilitärs für die Rekrutierung zuständig war, wieder ins Dorf kam. Er hat ihm 24 Stunden Zeit gegeben, sich zu melden. Juan hat die Zeit genutzt, um wieder zu fliehen. Er hat dann in einem anderen Dorf auf einem Bauernhof angeheuert. Dort wurde er jedoch wieder entdeckt und wurde gezwungen mitzukommen.
Maria, Juans Frau, erzählt weiter. Sie wussten zunächst nicht, was mit ihm passiert ist. Irgendwann haben sie mitbekommen, dass er bei den Paramilitärs ist. Später bekamen sie die Nachricht, dass er umgekommen sei. Im Heimatort haben sie dann seine Beerdigung gefeiert – wie kurz vorher die von seinem Bruder.
Als Familie haben sie immer wieder ihren Namen gewechselt, damit sie nicht erkannt und von den Guerillas oder Paramilitärs umgebracht würden.  Der Tod war ein ständiger Begleiter. Einmal hat der Verlobte ihrer Schwester angerufen. Während sie am Telefon sprachen, hat er plötzlich gesagt: Das Militär kommt. Dann hat sie nur noch Schüsse gehört. Sie haben ihn umgebracht.
In dem Gebiet gab es dann schwere Auseinandersetzungen zwischen der FARC und den Paramilitärs. Die Dorfbevölkerung ist zwischen die Räder geraten. Viele wurden umgebracht. Große Teile des Dorfes wurden zerstört. Alle sind aus dem Dorf – und den umliegenden Dörfern geflohen.

Irgendwann hat Maria mitbekommen, dass Juan doch noch lebt und hat versucht, Kontakt aufzunehmen. Doch es hat noch eine Weile gedauert, bis sie sich wiedergesehen haben.
Juan´s Truppe hat 2006 im Rahmen des Friedensprozesses mit den Paramilitärs ihre Waffen abgegeben. Juan hat sich nicht zurück ins Dorf getraut und hat nirgends Fuß gefasst. 2014 hat er sich dann einer anderen bewaffneten Gruppe angeschlossen.
Nachdem er ins Krankenhaus musste, da er durch eine Handgranate seinen Arm verlor, wurde er von der Polizei geschnappt und musste ins Bellavista Gefängnis in Medellin.
Dort war er in der APAC-Abteilung von Prison Fellowship Kolumbien. Er hat dort auch an dem Programm „Opfer und Täter im Gespräch“ teilgenommen. Dadurch wurden ihm die Augen geöffnet, was er all seinen Opfern angetan hat. Er ist zum Glauben gekommen und hat sein Leben verändert. Er ist der Hoffnungsträger Stiftung und Prison Fellowship Kolumbien unheimlich dankbar, dass sie das Programm ermöglicht haben.

Hoffnung

Jeannine Brabon und Ibrahim

Im Gefängnis hat er Ibrahim getroffen. Zunächst haben sie sich nicht erkannt, aber später dann gemerkt, dass sie Jugendfreunde waren. Der eine ist zu der FARC-Guerilla, der andere zu den Paramilitärs. Sie haben sich dann wieder angefreundet.
Nach 8 Jahren wurde Juan entlassen. Er hat Maria gefunden und sie haben geheiratet.

Vor ein paar Wochen hat er dann Lacides Hernandez, den Präsidenten von Prison Fellowship Kolumbien angefragt, das Programm Opfer und Täter im Gespräch in seinem Heimatort durchzuführen. Er ist mit seiner Frau wieder dorthin gezogen. Bisher haben sie die Vergangenheit aber mit niemanden thematisiert, da das für alle Beteiligten zu schwierig ist. Obwohl es für sie sehr gefährlich ist, da sie nie wissen, ob jemand Rache üben will, haben sie sich entschieden, wieder dorthin zu ziehen und wollen sich für die Dorfgemeinschaft einsetzen – auch als Wiedergutmachung für das, was ihr durch die Gruppe von Juan´s Paramilitärs angetan wurde. Sie wollen dort bessere Lebensgrundlagen schaffen, produktive Projekte aufbauen, eine Genossenschaft gründen und dafür sorgen, dass auch andere wieder zurück ins Dorf ziehen können. Sie sind voller Hoffnung und wollen dort Frieden und Versöhnung stiften und den Dorfbewohnern eine gute Zukunft ermöglichen.

Dörfer der Versöhnung, Kolumbien

Christian, Juliana, Tobias Merckle, Lacides Hernandez und Maria

In drei Kleingruppen haben wir das Programm Opfer und Täter im Gespräch dann im Schnelldurchgang mit Gruppen aus Opfern und Tätern durchgezogen. Alles andere als ideal – normalerweise braucht so ein Prozess vier Monate. Doch die Umstände hier ließen es zunächst nur für diesen einen Tag zu. Im Rahmen dieser Gespräche haben wir dann auch viele Geschichten von Opfern gehört, so z.B. von Juliana.
Als sie 6 Jahre alt war, musste sie mit ansehen, wie ihr Vater ermordet wurde. Sie ist dann mit dem Esel nach Hause geritten und hat ihrer Mutter erzählt, was passiert war. Ihre Mutter ist daraufhin geflohen und hat sie bei ihren Großeltern abgegeben. Dort musste sie sich für 8 Monate in einem Hohlraum unter dem Wohnzimmer verstecken. Zum Essen wurde eine Klappe geöffnet und ihr runtergegeben. Tageslicht hat sie in der Zeit nie zu sehen bekommen. Doch die Schicksalsschläge hörten damit nicht auf. Als Jugendliche wurde sie von der FARC-Guerilla entführt und sollte zur Kämpferin ausgebildet werden. Sie hat sich jedoch geweigert, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Sie wurde gefoltert und sollte dazu gezwungen werden. Doch sie blieb standhaft. Irgendwann wurde sie dann mitten in der Wildnis ausgesetzt. Von den Folterungen gezeichnet, konnte sie kaum noch laufen, doch sie lief und lief und lief, mehrere Tage lang. Irgendwann sackte sie vor Erschöpfung zusammen. Ein älterer Mann hat sie gefunden und mehrere Tage gepflegt, bis sie wieder laufen konnte. Er ist mit ihr einen weiten Weg mitgegangen und hat sich um sie gekümmert. Kurz bevor sie in ihrem Heimatdorf ankamen, hat er zu ihr gesagt: „Du bist jetzt stark genug, Du kannst allein weiter“. Daraufhin ist er verschwunden.

All diese Erinnerungen und Schmerzen hat sie seitdem in sich getragen und konnte es auch niemanden sagen. Immer wieder hat sie Rachegedanken gehabt und wollte die Täter umbringen. Doch diese Gedanken konnte sie zum Glück überwinden. Zu dem Treffen heute ist sie 2 ½ Stunden hergelaufen, um endlich darüber reden zu können und um hoffentlich mehr zum Schicksal ihres Vaters und anderer Ermordeten und Vermissten aus ihrer Familie zu erfahren.

Dörfer der Versöhnung Kolumbien - Hoffnung

Christian

Abends kamen dann alle drei Gruppen zusammen. Dabei hat Juliana ihre Geschichte noch einmal und noch ausführlicher erzählt. Auch Juan hat noch einmal vor allen aus seinem Leben berichtet und sich bei allen, die Angehörige durch die Paramilitärs verloren haben, namentlich entschuldigt. Er hätte niemand von ihnen selbst umgebracht, aber er habe es mitbekommen und nichts dagegen getan. Er hat sich auch im Namen von Ibrahim als Mittäter – aber von der anderen Seite, der FARC, entschuldigt. Ibrahim selber konnte noch nichts sagen. Er war zu überwältigt von der ganzen Situation. Nach 27 Jahren war er zum ersten Mal in seinem Dorf und hat endlich wieder seine Schwester gesehen. Auch viele seiner Familienmitglieder wurden umgebracht.

Als kleines Zeichen der Hoffnung, Wiedergutmachung und Versöhnung für das Dorf hat Christian ein Löwen geschnitzt, der bei der Zeremonie feierlich übergeben wurde. Christian war zwar in diesem Konflikt nicht involviert, war aber „Koch“ bei Pablo Escobar. Er hat für ihn die Drogen zusammengemischt. Im Bellavista Gefängnis ist er mit Prison Fellowship Kolumbien in Berührung gekommen und hat sein Leben verändert. Er ist inzwischen Mitarbeiter bei Prison Fellowship und bildet Gefangene als Schreiner und im Kunsthandwerk aus.

Kolumbien, Dörfer der Versöhnung - HoffnungInzwischen ist es schon dunkel geworden. Niemand achtet auf die Zeit. Die von der örtlichen kriminellen Bande vorgegebene Sperrstunde ist schon längst vorbei. Nach einem kurzen Abendessen und der Verabschiedung machen wir uns mit Pferden auf den Heimweg. Stockfinster ist die Nacht, doch die Pferde kennen den Weg und nach einer Stunde kommen wir dann am Parkplatz an. Mit dem Motorrad geht es dann weiter wieder zurück über die Holperstraße nach Turbo.

Ein erfüllter Tag liegt hinter uns. Für die Beteiligten war es ein großer Schritt, endlich einmal aussprechen zu können, was vorgefallen ist – für Opfer und Täter eine große Erleichterung. Doch es ist nur ein erster Schritt auf einem langen Weg zur Heilung, Vergebung und Versöhnung. Weitere werden folgen.


Jeder verdient eine zweite Chance Christoph ZehendnerChristoph Zehendner berichtet in seinem Buch “Jeder verdient eine zweite Chance – Hoffnungsträger Geschichten aus dem Seehaus und dem Rest der Welt” auch über seine Begegnungen in Kolumbien. Das Buch kann bei der Hoffnungsträger Stiftung (hier) bestellt werden.

Informationen zu weiteren Projekten von Prison Fellowship Kolumbien.


* alle Namen geändert