Wie kommt ihr auf die Idee, euer Familienleben mit strafgefangenen jungen Männern zu teilen?
Rafael Bogdan: Tirza hat ihr FSJ 2018 hier im Seehaus gemacht und auch danach war es ein Herzensprojekt. Dann hat im September 2021 Paul Schneider uns gefragt ob wir uns das vorstellen können. Wir haben uns sehr über die Anfrage gefreut und haben dann zugesagt.
Stephan Lohse: Franzi hat seit vielen Jahren die Vision von der Arbeit mit Strafgefangenen. Als uns dann 2021 die Möglichkeit eröffnet wurde im Seehaus zu arbeiten und zu leben, haben wir uns gemeinsam für diesen Schritt entschieden. Wir haben beide als Pädagogen im Seehaus gearbeitet und konnten durch einige Urlaubsvertretungen auch schon „Hauselternluft“ schnuppern. Beeindruckt hat uns, wie die jungen Männer mit unserem Sohn umgegangen sind. Aber auch wie offen er sich ihnen gegenüber zeigte. Das und viele weitere Begegnungen im Alltag führten dazu, dass der Wunsch in uns wuchs, als Familie mit den jungen Männern zu arbeiten, zu leben und sie zu begleiten.
Was denkt ihr, wird am herausforderndsten für euch?
Rafael Bogdan: Ankommen im neuen Alltag, Essensplanung.
Tirza Bogdan: Ich werde nebenbei noch in Teilzeit arbeiten, das wird vermutlich eine Herausforderung alles unter einen Hut zu bekommen.
Rafael & Tirza Bogdan: Mit so vielen verschiedenen Menschen jeden Tag Gemeinschaft haben, dass unser Hund dick wird von den vielen Sachen die die jungen Männer ihr immer geben möchten.
Lohses: Das zeitige Aufstehen :-D Das Gesamtpaket: die Familie im Blick zu behalten, den Wünschen und Bedürfnissen der eigenen Kinder gerecht zu werden. Als Ehepaar Qualitätszeit zu haben. Die jungen Männer zu begleiten und auf ihre Bedürfnisse und Individualitäten eingehen zu können.
Worauf freut ihr euch am meisten?
Rafael & Tirza Bogdan: Auch die Gemeinschaft mit vielen verschiedenen Menschen, die jungen Männer kennenzulernen und begleiten zu dürfen, einen Neustart zu haben.
Lohses: Auf die Gemeinschaft mit den jungen Männern. Auf die verschiedenen Persönlichkeiten, auf den gemeinsamen Weg, Teil der Veränderung zu sein. Aber auch auf das, was wir von ihnen lernen können und woran wir wachsen dürfen. Auf die Unterstützung von einem coolen Team.
Was sagen Familie, Freunde dazu?
Tirza Bogdan: Eigentlich finden es alle gut, manche verstehen nicht warum Rafael aus der Industrie rausgeht und dass wir so viel von unserem Privatleben aufgeben. Grundsätzlich stehen aber alle hinter uns und unterstützen uns.
Lohses: Mutig.“, „Krass!“, „Verrückt.“ Das sind oft die ersten Reaktionen, wenn wir von unserem Vorhaben erzählen. Aber als zweite Reaktion sind sie dem positiv zugestimmt und können sich das für uns vorstellen.
Wie lange wollt ihr das machen?
Bogdans: Wir haben uns keine Zeit dafür festgesetzt, wir wollen es so lange machen wie wir das Gefühl haben, dass es zu uns passt und es Gottes Plan für unser Leben ist.
Lohses: Bevor wir über das Ende reden, fangen wir lieber erst einmal an. Einen zeitlichen Rahmen haben wir uns nicht gesetzt. Es muss für uns als Familie zu vereinbaren sein
Habt ihr keine Angst um eure 3 Kinder?
Lohses: Ja, wir haben keine Angst. Wir freuen uns schon darauf. Wir durften bis jetzt erleben, dass Kinder gut aufgenommen werden und die jungen Männer mit ihnen spielen und Spaß haben. Aber auch, dass die Grenzen der Kinder eingehalten werden.
Hintergrund
Im Seehaus Leipzig leben zwei Hauselternfamilien zusammen mit bis zu je 7 strafgefangenen jungen Männern in einer Wohngemeinschaft. Auf diese Weise wird Familienleben, das die meisten der jungen Männer so nicht kennen, vorgelebt und vermittelt. Nach 10 bzw. 4 Jahren in diesem Dienst übergeben die bisherigen Hauselternfamilien Steinert und Viehweger im Frühjahr 2023 (hier im Rückblick-Interview) den Staffelstab an die Familien Lohse und Bogdan.