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Ich habe einen Traum – Ideen, die die Welt verändern

ZDF Sonntags 01.09.2013 – „Ich habe einen Traum“ – Ideen, die die Welt verändern

Vor 50 Jahren hielt Martin Luther King seine berühmte Rede: „I have a dream“ – und schuf damit das Leitbild eines in Schwarz und Weiß vereinigten Amerika, mit dem sich viele identifizieren konnten. Für Tobias Merckle bildeten seine christlichen Überzeugungen die Grundlage für seine Idee: Straffälligen Jugendlichen eine Chance geben.

Der Film:
www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/1974800/sonntags-vom-01-September-2013

Das Interview:
www.zdf.de/sonntags/Ich-habe-einen-Traum-29526746.html

 

„Ich habe einen Traum“

„Ideen, die die Welt verändern

Vor 50 Jahren hielt Martin Luther King seine berühmte Rede: „I have a dream“ – und schuf damit das Leitbild eines in Schwarz und Weiß vereinigten Amerika, mit dem sich viele identifizieren konnten. Für Tobias Merckle bildeten seine christlichen Überzeugungen die Grundlage für seine Idee: Straffälligen Jugendlichen eine Chance geben.

Am 28. August 1963 hält der Südstaaten-Pfarrer Martin Luther King seine Rede mit dem weltberühmten Satz: „I have a dream – ich habe einen Traum“.

Hundertausende hören ihm gebannt zu, als er seinen Traum von der Gleichstellung aller Menschen beschreibt, mitten in der US-Hauptstadt Washington,

… vor dem Denkmal für Präsident Abraham Lincoln, der genau 100 Jahre zuvor die Sklaverei abgeschafft hatte.

Eine Rede, die sich ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingeprägt hat. „Ich habe einen Traum, dass eines Tages diese Nation aufstehen …

…und nach dem echten Sinn ihres Glaubensbekenntnisses leben wird: Wir halten die Wahrheit für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich erschaffen sind …“ – so einer seiner Sätze.

1964, ein Jahr nach Kings Rede in Washington, wird in den USA die Rassentrennung per Gesetz aufgehoben. Der „Civil Rights Act“ beendet sie dann offiziell. (Hier bei einem Treffen mit Präsident …

King wurde 1964 für sein Wirken mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Vier Jahre später wurde die Bürgerrechtsikone in Memphis im Bundesstaat Tennessee von einem Attentäter erschossen.

Ein Nationaldenkmal in Washington erhielt Martin Luther King 2011 – als erster schwarzer Amerikaner überhaupt. Und einen nationalen Feiertag, den Martin Luther-King-Day.

 

50 Jahre nach der legendären Rede spricht US-Präsident Barack Obama in Washington vor dem Lincoln Memorial zum Gedenken an Martin Luther King.

Doch der „Traum“ ist noch nicht ganz in Erfüllung gegangen. Die Armutsrate in der schwarzen Bevölkerung ist noch immer drei Mal so hoch wie bei weißen

ZDF: Was war Ihr Traum?

Tobias Merckle: Ich hatte den Traum, irgendwann eine Alternative zum Jugendstrafvollzug zu schaffen. Ich war nach der Schule ein Jahr in Amerika und hab mit Drogenabhängigen gearbeitet. Einer von ihnen kam dann ins Gefängnis. Als ich ihn dort besuchte, habe ich gesehen, was Gefängnis bedeutet. Das ist von den Bedingungen her in Amerika noch extremer: keine Ausbildung, keine Arbeit, keine Schule, nichts. Drei Mann in einer neun qm großen Zelle. Da hab ich gedacht: Das kann nicht sein. So etwas können wir den Jugendlichen nicht zumuten. Und der Gesellschaft können wir es erst recht nicht zumuten, denn irgendwann kommen sie wieder heraus und sind krimineller als vorher, weil sie von der negativen Subkultur beeinflusst worden sind, die dort vorherrscht. Als ich dann wieder zurückkam, habe ich mir vorgenommen, jugendlichen Straftätern eine neue Chance zu geben. Das war mein Traum, den ich dann 13 Jahre lang verfolgt habe, bis wir hier das Seehaus Leonberg eröffnen konnten.

Tobias Merckle
Tobias Merckle, Gründer und Geschäftsführer von Seehaus e.V.

ZDF: Inwieweit hat bei dieser Entscheidung Ihre christliche Überzeugung eine Rolle gespielt?

Merckle: Jeder Mensch ist wertvoll und es passt nicht zum christlichen Menschenbild, wenn man Menschen verloren gibt und ihrem Schicksal überlässt. Auch straffällige Jugendliche sind wertvoll. Sie sind Geschöpfe Gottes und sie haben Fähigkeiten. Bisher haben sie diese Gaben negativ genutzt. Wir wollen ihnen aufzuzeigen, wie sie sie positiv nutzen können. Das ist ein Gewinn für sie selber, aber auch für die Gesellschaft. Vom Glauben her ist es wichtig, dass wir niemanden aufgeben, dass jeder eine Chance bekommt. Denn jeder kann neu anfangen wenn er das will.

ZDF: Welche Anknüpfungspunkte zu den christlichen Werte schaffen Sie für die jungen Straftäter?

Merckle: Wir sind ein diakonischer Träger und wir möchten als Mitarbeiter den Glauben vorleben und Christsein, christliche Werte und Normen vermitteln. Das schlägt sich auch im Tagesablauf nieder. Morgens haben wir eine Zeit der Stille. In den ersten drei Wochen lesen wir gemeinsam mit den Jungs in der Bibel. Dann haben wir einen Impuls für den Tag, bei dem ein Mitarbeiter oder die Jugendlichen ein Motto für den Tag geben, sei es eine Geschichte aus der Bibel oder ein lebenspraktisches Beispiel. Sonntags gehen wir in den Gottesdienst. Und dann gibt es noch freiwillige Angebote für die Jugendlichen. Wir wollen den Glauben vorleben, aber nicht überstülpen oder aufoktroyieren. Wir wollen stattdessen den Glauben als Angebot geben. Jeder kann für sich überlegen, was habe ich für Werte und mit welchen Werten möchte ich durchs Leben gehen.

ZDF: Es gab viele Widerstände gegen Ihr Projekt, zum Beispiel Proteste von Nachbarn in Störmthal. Wie gehen sie damit um?

Merckle: Es ist erst mal verständlich, dass Nachbarn Angst haben, wenn sie hören, straffällige Jugendliche kommen in ihre Umgebung. Aber es hat sich schnell gezeigt, dass die Jugendlichen nicht die Monster sind, die sie sich vorgestellt haben und dass sie sehen, das sind Menschen, die auch etwas können und auch etwas für die Gesellschaft beitragen können. Es ist nie etwas passiert. Und es ist schön zu sehen, wie sich Einstellungen ändern und Vorurteile abgebaut werden, weil Nachbarn sehen, die jugendlichen Straftäter machen etwas Positives und leisten Wiedergutmachung.
ZDF: In Leonberg haben die Nachbarn sogar schon so viel Vertrauen, dass sie ihre Kinder zu Ihnen schicken.

Merckle: Ja, wir haben inzwischen einen Wald- und Tierkindergarten von Seehaus e.V. auf dem Gelände. Am Anfang gab es schon Befürchtungen, wer bringt seine Kinder schon gern zum Jugendstrafvollzug in den Kindergarten. Aber wir sind für die nächsten zwei Jahre belegt und wurden immer gut angenommen. Die Bürger in Leonberg haben Vertrauen gefasst, dass hier nichts passiert und es keinen negativen Einfluss gibt.

ZDF: War es schwierig, das Seehaus zu realisieren?
Merckle: Mit einem solchen Projekt kann ein Justizminister nicht unbedingt Wählerstimmen fangen. Und so ist es auch bei Oberbürgermeistern und bei allen Entscheidern. Es ist natürlich wichtig, dass alle Beteiligten ein dickes Fell haben und wissen, warum sie es machen. Denn es lohnt sich für jeden einzelnen Jugendlichen, der nachher ein Leben ohne Straftaten führen kann.

ZDF: Wie groß ist Ihr Team?

Merckle: Unsere Mitarbeiter kommen aus allen Bereichen: Wir haben Meister auf dem Bau, Sozialpädagogen, Hauseltern, die immer bis zu fünf Jungs in ihre Familie aufnehmen. Das Team wird noch ergänzt durch über hundert Ehrenamtliche, die sich hier in den Betrieben und der Schule einbringen: Wir haben außerdem ehrenamtliche Paten, die die Jungs begleiten, auch n der Nachsorge. Und es ist toll, dass wir so viele Ehrenamtliche haben, die so eine Integration gewährleisten.

ZDF: Würden sie heute sagen, dass sich Ihr Traum erfüllt hat?

Merckle: Wir konnten bisher allen Jugendlichen – bis auf einen, der nicht wollte -, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz vermitteln. Viele Arbeitgeber beschweren sich ja heutzutage über die Azubis, die keinen Acht-Stunden-Tag durchhalten, die nicht pünktlich sind, kein Sozialverhalten haben. Das haben unsere Jungs eben schon eintrainiert. So können sie sich da beweisen.“