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Totaler Frieden für Kolumbien

Totaler Frieden für Kolumbien

Die Hoffnungsträger Stiftung und Seehaus e.V. unterstützt Friedens- und Versöhnungsprozesse in Kolumbien
Das Leonberger Seehaus-Modell wird in Kolumbien eingeführt

Kolumbien leidet seit über 60 Jahren am bewaffneten Konflikt zwischen der Regierung und verschiedenen Guerillagruppen, Paramilitärs und deren Nachfolgeorganisationen, sowie an Drogenhandel und Korruption. 2016 unterzeichneten die FARC-Guerilla und die kolumbianische Regierung einen Friedensvertrag. Doch weitere Guerilla-Gruppen, paramilitärische Gruppen und bewaffnete Drogenbanden sind weiterhin aktiv.


Am 12.04. um 19.30 Uhr berichten Nicole Mahr, Helmut Roßkopf, Lars Bergmann,von ihrer Reise nach Brasilien und Kolumbien. Ort: Glemseck, Leonberg und online (zoom). Mehr Infos….



Präsident Gustavo Pedro will einen „Paz total“, einen „Totalen Frieden“ mit allen bewaffneten Gruppen schließen.
Die Hoffnungsträger Stiftung (Leonberg) unterstützt diesen Prozess gemeinsam mit ihrer kolumbianischen Partnerorganisation Prison Fellowship Kolumbien. Tobias Merckle, der Gründer der Hoffnungsträger Stiftung, hat einige dieser Projekte mitentwickelt und jetzt wieder besucht.

Totaler Frieden: Frieden mit der ELN-Guerilla

Die Nationale Befreiungsarmee (ELN) ist mit ca. 3000 Kämpfern die größte aktive Guerilla-Organisation. Seit November 2022 laufen Friedensgespräche zwischen der ELN und der Regierung. Auch die deutsche Bundesregierung begleitet den Friedensprozess. Im Februar wurde das Waffenstillstandsabkommen bis August verlängert und die ELN haben sich verpflichtet, keine Entführungen mehr vorzunehmen und keine Kindersoldaten zu rekrutieren. Im Rahmen der Friedensverhandlungen wurde vereinbart, dass zunächst bis zu 10 Mitglieder der ELN aus humanitären Gründen aus dem Gefängnis entlassen werden. Sechs davon sind inzwischen als „Friedensförderer“ entlassen worden und befinden sich auf einem Grundstück der Hoffnungsträger Stiftung in einem Programm von CCC. Dabei werden sie in Landwirtschaft und Bautechnik ausgebildet und in Restorative Justice geschult. Bei Restorative Justice stehen die Opferperspektive und Wiedergutmachung im Mittelpunkt und im Idealfall treffen sich Opfer und Täter, um gemeinsam zu besprechen, wie die Täter Verantwortung übernehmen können und zum Heilungsprozess der Opfer beitragen können. Auch das Büro, in dem die Friedenssprecher der ELN in Bogota arbeiten, wird von CCC gestellt.

Totaler Frieden: Frieden mit den kriminellen Banden

Im Itagüi-Gefängnis sind die Bandenchefs der „BaCrim“, krimineller Banden, die aus den Paramilitärs hervorgegangen sind, versammelt. Sie kontrollieren die Metropolregion Medellin mit ca. 20.000 Bandenmitgliedern. Seit Juni 2023 finden Friedensverhandlungen mit der Regierung statt. In diesem Rahmen schlug Merckle ihnen vor, ein Diplom in Restorative Justice durchzuführen. Dies hat nun begonnen. Das Diplom besteht aus einem Theorieteil, direkten Treffen zwischen den Bandenchefs und Opfern und Wiedergutmachung an Opfer. „Unsere Hoffnung ist, dass die Bandenchefs durch das Diplom und vor allem durch die Begegnung mit den Opfern die Friedensverhandlungen ganz anders führen und vor allem auch die Opferperspektive berücksichtigen“. Dies ist in den Gesprächen mit ihnen auch jetzt schon sichtbar. „Wir sind uns unserer Schuld bewusst und wissen was wir den Opfern und der Gesellschaft angetan haben. Dafür sind wir jetzt im Gefängnis. Jetzt ist es Zeit, dass wir etwas Gutes für die Gesellschaft tun“, so Freyner Sofonso Ramírez, alias Carlos Pesebre, einer der höchsten Bandenchefs. „Den Bandenchefs ist abzuspüren, dass sie es ernst meinen und der Kriminalität den Rücken kehren wollen“ so Merckle.

Ein Problem dabei ist es, wie man Perspektiven für die Bandenmitglieder schaffen kann, damit sie ihre Familien versorgen können. Beim Besuch im Itagüi Gefängnis mit deutschen Unternehmern kam die Idee auf, 3-4 Stadtviertel, die am schlimmsten von Kriminalität betroffen sind als Modellprojekte von einer kriminellen in eine legale Wirtschaft „umzukehren“. Dazu sollen Unternehmer gefunden werden, die dort Arbeitsplätze schaffen, soziale Projekte geschaffen werden und die Bandenchefs garantieren, dass dort keine organisierte Kriminalität mehr stattfindet. Wenn dies in diesen Stadtvierteln funktioniert, kann es auch auf ganz Medellin und dann auf andere Landesteile ausgeweitet werden. Die Bandenchefs waren bisher für ca. 90% der Kriminalität in der Metropolregion Medellin verantwortlich und ca. 40% der organisierten Kriminalität Kolumbiens wird von Medellin aus kontrolliert. Die Bandenchefs wünschen sich, dass auch die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland nicht nur den Friedensprozess mit der ELN begleitet, sondern auch mit ihnen. „Ein Friedensvertrag mit den Bandenchefs hat einen enormes Potential, um Kolumbien zu befrieden“, so Merckle. Auf Einladung der Bandenchefs hat Merckle die „Verlorene Stadt“ besucht, ein sehr prekäres Stadtviertel, das illegal in einem Naturschutzgebiet gebaut wurde. Die Staatsgewalt existiert hier nicht, es wird alles durch die Bande kontrolliert und geregelt. Die „Stadtführer“ berichteten, dass es 2019 einen bewaffneten Kampf mit einer benachbarten Bande gab. Dabei sind 200 ihrer Mitglieder umgekommen. 180 Mitglieder haben überlebt, 80 davon sind im Gefängnis. Allein dadurch, dass die Bandenchefs jetzt zusammen am Verhandlungstisch im Itagüi-Gefängnis sitzen, ist die Mordrate in Medellin extrem gesunken, da sich die Banden jetzt nicht mehr gegenseitig bekriegen.

Dörfer der Versöhnung

Die Banden kontrollieren nicht nur das städtische, sondern auch das ländliche Gebiet. Auch dort unterstützt die Hoffnungsträger Stiftung Versöhnungsprogramme. Bei den „Dörfern der Versöhnung“ kommen ehemalige Guerilla-Kämpfer, Paramilitärs und Soldaten mit Opfern des bewaffneten Konflikts zusammen, um an dem Programm Opfer und Täter im Gespräch teilzunehmen. Im Anschluss bauen sie zerstörte Infrastruktur wie Schulen, Kirchen und Brücken wieder auf oder bauen Häuser der Erinnerung für die Opfer. Das Programm konnte schon in 17 Dörfern umgesetzt werden. Zur Zeit wird es in Tolú Viejo (Sucre) und Santa Fe de Ralito (Córodoba) umgesetzt. In Tolú Viejo kam die Anfrage von Margarita Flores. Als sie 17 Jahre alt und schwanger war, wurde ihr Freund von einem Nachbarn mit einem Arbeitsangebot abgeholt. Später sollte er eine Uniform anziehen und wurde dann von der Armee umgebracht. So wie ihm ging es noch weiteren 10 Jugendlichen aus der Stadt. Sie alle wurden 2007 von Soldaten umgebracht. Die sogenannten „Falsos Positivos“ ist ein landesweites Phänomen. Soldaten haben zwischen 2002 und 2008 wahllos über 6.400 Zivilpersonen umgebracht und die Leichen dann als Guerilla-Kämpfer präsentiert, um dafür Heimaturlaub und Sonderprämien oder Beförderungen zu bekommen. Margarita war schon mit 17 eine starke Frau und hat den Mord zur Anzeige gebracht – eigentlich ein Todesurteil. Dank ihrer Anzeige wurden die Entführer gefasst. Sie hat später dann eine Selbsthilfegruppe und eine Genossenschaft für die Frauen, die ihren Mann oder Sohn verloren haben, gegründet.

Margarita Flores (weißes Kleid) mit Tobias Merckle (links davon), deutschen Unternehmern und Lacides Hernandez (Präsident von CCC)

Inzwischen ist auch der zuständige Coronel, Luis Fernando Borja, vor der Sondergerichtsbarkeit verurteilt. Er hat zugegeben, dass er verantwortlich ist für den Mord an mindestens 50 Jugendlichen aus der Region. In dem Programm Dörfer der Versöhnung wird mit den Angehörigen gearbeitet, um das Geschehene aufzuarbeiten. Mit dem ehemaligen Coronel ist ein Versöhnungsprozess gescheitert. CCC arbeitet jetzt mit anderen Soldaten, die Zivilisten in der Region umgebracht haben und bereit sind, um Vergebung zu fragen und Wiedergutmachung zu leisten. Die Hoffnungsträger Stiftung hat ein Haus gekauft, das die Hinterbliebenen nutzen, um eine Bäckerei und ein Café zu betreiben und es soll auch als ein „Haus der Erinnerung“ genutzt werden, um an die 11 Jugendlichen und das Schicksal der Familien zu erinnern.

Santa Fé de Ralito ist eine Kommune, die von allen bewaffneten Gruppen drangsaliert wurde, zunächst von Guerilla-Gruppen, dann von Paramilitärs, gleichzeitig auch von Soldaten und der Polizei. 2002 war es dann die Entmilitarisierungszone der Paramilitärs (AUC) und der Friedensvertrag wurde dort geschlossen. Die Bewohner mußten viel Leid ertragen und werden jetzt auch noch stigmatisiert, da jeder denkt, dass sie ehemalige Paramilitärs sind, wenn sie sagen aus welchem Ort sie kommen. Seit 2023 unterstützt die Hoffnungsträger Stiftung dort das Programm „Dörfer der Versöhnung“. Zunächst waren die Dorfbewohner noch sehr verschlossen, aber sie haben sich auf das Programm eingelassen und inzwischen sieht man auch fröhliche Gesichter. Anfang März war Merckle mit den deutschen Unternehmern vor Ort und haben an einer Zeremonie teilgenommen, bei dem 10 ehemalige Soldaten die Dorfbevölkerung um Vergebung gefragt haben, dass sie Zivilisten umgebracht haben. Maria* hat dabei berichtet.

Maria* mit ehemaligen Soldaten, die um Vergebung gefragt haben

Sie hat 2 Kinder verloren. „Ich wollte nicht mehr leben. Durch das Programm Dörfer der Versöhnung wurde ich geheilt. In der Vergangenheit wollte ich Rache. Doch jetzt bin ich geheilt, jetzt ist meine Familie frei von Hass“. Im Anschluss an die Zeremonie haben die ehemaligen Soldaten, die Dorfbevölkerung und die deutschen Unternehmer gemeinsam begonnen, das Haus der Erinnerung für die Opfer aufzubauen.

Aufforstungsprojekte für das Klima und für die Menschen

Um sowohl Opfern als auch Tätern auch eine berufliche Perspektive geben zu können wird die Hoffnungsträger Stiftung mit Unterstützung der Merckle Stiftung und weiteren Förderern in der Nähe des Ortes eine Finca kaufen, um dort ein Aufforstungsprojekt aufzubauen. Früher war die Gegend sehr waldreich. Schon im 19. Jahrhundert haben die Franzosen Abholzung im großen Stil betrieben und auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten sind immer mehr Wälder abgeholzt worden, um stattdessen Rinderfarmen daraus zu machen. Die Natur hat schwer darunter gelitten. Mit dem Aufforstungsprojekt soll wieder ursprünglicher Wald hergestellt werden. Als Partner konnte Hoffnungsträger Andreas Eke mit Generation Forest gewinnen. Generation Forest hat schon 30 Jahre Erfahrung mit Aufforstungsprojekten mit heimischen Hölzern im benachbarten Panama. Sie bilden Urwälder nach. Dadurch kann sehr viel CO² gebunden werden, was sich positiv auf unser Klima auswirkt. Gleichzeitig wächst dadurch die Biodiversität und viele Pflanzen und Tierarten finden eine neue Heimat. Neben dem ökologischen Nutzen entsteht ein großer sozialer Nutzen, da viele Arbeitsplätze für die Dorfbevölkerung entstehen und auch die Einkünfte in soziale Projekte in der Gegend reinvestiert werden sollen.

„Mit all diesen Projekten wollen wir unseren Teil zum Frieden und Versöhnung in Kolumbien und mit dem Aufforstungsprojekt auch für unser Klima beitragen“, so Merckle.

Ein weiteres Herzensprojekt konnte Merckle während seiner Reise eröffnen. Seit knapp 5 Jahren arbeitet er mit CCC daran, das Konzept vom Seehaus Leonberg, einer Alternative zum herkömmlichen Jugendstrafvollzug, nach Kolumbien zu übertragen. Die bürokratischen Hürden sind sehr hoch, doch jetzt konnte das „Seehaus Kolumbien“ eröffnen, wenn auch mit diversen Herausforderungen verbunden. Im Seehaus Leonberg können sich junge Gefangene aus dem Strafvollzug heraus bewerben und verbringen dann ihre gesamte Haftstrafe im Jugendstrafvollzug in freien Formen. Jeweils bis zu sieben junge Männer wohnen zusammen mit einer Mitarbeiterfamilie, da viele bisher kein „funktionierendes“ Familienleben kennen. Gleichzeitig sind sie eingebunden in ein striktes Erziehungsprogramm von 5.45 Uhr angefangen mit Frühsport bis 22.00 Uhr.
Das Konzept soll auch in Kolumbien nach dem gleichen Modell funktionieren. Geplant war es, mit 12 jungen Männern zu beginnen. Das Jugendamt hat jedoch darauf bestanden, dass 30 junge Männer kommen. Statt dass sie, wie vereinbart, einzeln über mehrere Monate kommen, kamen dann alle auf einmal und auch nur ein Drittel haben zum Profil der Einrichtung gepasst. Am gleichen Tag wurde eine Psychiatrie geschlossen und so wurden 10 Personen mit schwersten psychiatrischen Krankheitsbildern ins Programm verlegt. „Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten ist das Programm gut angelaufen und konnte das Leonberger Modell nun auch in Medellin umgesetzt werden“, so Merckle.

Confraernidad Carcelaria de Colombia (Prison Fellowship Kolumbien)
Hoffnungsträger Stiftung

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